Unter dem Titel „H2O“, der chemischen Formel für Wasser, zeigt die Galerie Wolfgang Jahn in München ausgewählte Werke von Herbert Brandl, Jiří Georg Dokoupil, Sven Drühl, Stephan Kaluza, Susanne Knaack, Hubert Scheibl und Bernd Zimmer.
Das verbindende Element dieser Werkschau ist die motivische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser – in Form von Seestücken, der Darstellung von Meeresbrandungen und - wellen, Wasseroberflächen, Wasserfällen und Quellen, Spiegelungen, aufsteigenden Blasen und Wassertropfen – bis hin zur Objektkunst, die den Wasserkreislauf der Natur in ästhetischer Weise veranschaulicht.
Dabei unterscheiden sich die Werke nicht nur durch die individuelle Handschrift, Technik und den jeweiligen Zugang zur Thematik, sondern ebenso durch eine stilistische Bandbreite. Diese reicht von atemberaubenden, fotorealistisch wiedergegebenen Momentaufnahmen (Stephan Kaluza), über der Fokussetzung auf grafisch reduzierte Wellenstrukturen als visuellem netzartigen Muster (Sven Drühl) und expressiv aufgeladenen Wasserlandschaften (Susanne Knaack). Weiterhin von der abstrahierten Wiedergabe von Natur (Bernd Zimmer) – die in ihrer bewussten Unschärfe die dynamische Veränderlichkeit des Momenthaften suggeriert – bis hin zu freien, gestischen Abstraktionen, die sich nur noch assoziativ an ein ursprüngliches Bildmotiv koppeln lassen (Herbert Brandl / Hubert Scheibl). Ebenso finden sich Darstellungen von blasenartigen Gebilden, die nicht länger mimetisch abgebildet werden, sondern deren Bildgenerierung selbst durch den Einsatz fragiler Seifenblasen entsteht (Jiri Georg Dokoupil).
Stephan Kaluza
Stephan Kaluzas hyperrealistische Gemälde bestechen durch eine akribische, präzise und detailreiche malerische Umsetzung. Seine Bilder, in denen er Küstenansichten, Ausschnitte von bewegten Wellen, schillernde Wasseroberflächen oder auch vergrößerte Nahansichten von reflektierenden Wassertropfen zeigt, sind eindrückliche Momentaufnahmen. Sie geben eine überschärfte Realität wieder, wie sie das Auge in seinen wandernden Bewegungen zur Erfassung einer Situation nicht zu leisten vermag.
Kaluzas Arbeiten wirken wie gleichmäßig scharf gestellte Fotografien, die den fließenden, geschmeidigen und reflektierenden Charakter von Wasser in bemerkenswerter Klarheit
erfassen. Dabei entsteht ein Gesamtbild mit durchaus dokumentarischem Charakter, eingebettet in eine ästhetisch austarierte Komposition. So setzen sich Meer, Horizont und Himmel trotz allem Realitätssinn zu einem streifenhaften Bildaufbau zusammen, bei dem die Schaumkronen der Brandung in den sich aufbauschenden Wolkenformationen ein formales wie farbliches Gegengewicht finden.
Kaluza betitelt seine Arbeiten mit dem Wort „Transit“ und bezeichnet damit einen Übergang von einem ephemeren Augenblick zum nächsten. Seine Bilder spiegeln ein bestimmtes Momentum wider, welches der Künstler – diesem nachspürend – der Flüchtigkeit entreißen und als Zeitdokument der Natur im Bild bewahren und bewusstwerden lassen will. Durch seine Kunst, die durch einen langwierigen, akkuraten Schaffensprozess gekennzeichnet ist, der einzig der festgehaltenen Darstellung eines Wimpernschlags zur Überdauerung der Zeit dient, verkörpert Kaluza das Ideal des Im Moment-Verhaftetseins.
Das Naturschauspiel benötigt per se keine Zuschauer. Und doch schafft Kaluza in seinen Bildern eine individuelle Projektionsfläche für den Betrachter, der das Gesehene mit seinen eigenen Erfahrungen und Emotionen anreichert und verbindet. Wie unterschiedlich diese Interpretationen ausfallen mögen, zeigt die Tatsache, dass Kaluza einmal einen brasilianischen Küstenabschnitt im Bild festhielt, an dem er selbst beinahe ertrunken wäre. Was für den einen die Erinnerung an eine traumatische Erfahrung ist, kann für den anderen Ausdruck eines Sehnsuchtsortes mit Urlaubsgefühlen sein.
Sven Drühl
Äußerste Präzision – und dennoch völlig anders im Stil – kennzeichnen auch die durch nahezu monochrome Farbgebung surreal wirkenden Bildwerke des Künstlers und studierten Mathematikers Sven Drühl. Die Ideenfindung zu seinen Arbeiten erfolgt zunächst am Computer, dem ein aufwendiger Prozess der Bildgenerierung folgt, in dem Drühl individuell konzipierte Schablonen aus Klebefolie anfertigt und diese im weiteren Verlauf der malerischen Umsetzung verwendet.
Seine konzeptuellen Malereien wirken oftmals wie druckgrafische Erzeugnisse, indem sie den Fokus auf das Flechtwerk linearer Formstrukturen legen. So zeichnen seine Lackarbeiten die bewegten Wasserstrukturen von Ozeanen – mit ihren Wellentälern und -bergen – buchstäblich in ihrer Vielfalt und Komplexität eindrücklich nach, ohne sich dabei zu sehr in farblichen Nuancierungen zu verlieren.
Seine dunklen, zuweilen aber auch in einem leuchtend grellen Gesamteindruck gehaltenen Bildwelten sind einerseits von einer kontemplativen Ruhe geprägt, die der Anmut der Natur Rechnung trägt. Und dennoch haftet ihnen andererseits – durch die verzerrte Farbgebung und den perspektivischen Ausschnitt mit nach oben hin gesetztem Horizont, der fast ein Eintauchen auf Augenhöhe in die Wassermassen suggeriert – etwas Bedrohliches und Unbehagliches an.
Drühl zeigt die Naturgewalt als schlafenden Riesen, als Ruhe vor dem Sturm. Und er vermittelt ein Gefühl der Einsamkeit, wie sie nur ein Seefahrer mitten auf dem Ozean verspüren kann, der weiß, dass die erhabene Natur ihn nicht braucht – und er sich durch sein Tun ständiger Gefahr aussetzt.
Susanne Knaack
In der Technik der auf Grau-, Weiß- und Schwarztöne setzenden Grisaille-Malerei zeigen die Bilder von Susanne Knaack die tosende Wucht schaumbekrönter und sich auftürmende Brandungswellen. In ihrer frei umgesetzten, aber dennoch gegenstandsorientierten Malerei malt sie Szenerien, die weniger konkrete Standorte dokumentieren, als vielmehr in erster Linie die Triebkräfte der Natur malerisch interpretieren. In ihren Bildern werden diese Kräfte in ihrer schroffen Aufgewühltheit mit teilweise dramatischer Bewölkung eindrücklich festgehalten. Knaacks Seestücke gleichen fast heroischen Landschaften, in denen nicht der Mensch, sondern einzig und allein die Natur als alles bezwingender Held inszeniert wird.
Gleichzeitig – so mag man den Eindruck haben – lassen sich ihre Bilder aber auch als Seelenlandschaften verstehen, die mit der unbändigen Naturmetapher des Wassers das Auf und Ab und Hin und Her existenzieller Gefühlswelten veranschaulichen. Und an manchen Stellen im Bild will ihre Malerei nicht nur beschreiben, sondern sucht wie die Kraft des Wassers selbst nach einem Ausweg aus zu eng gesteckten Grenzen hin zur freien Entfaltung.
Bernd Zimmer
Die Arbeiten von Bernd Zimmer wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeitsbezug. In freier und gestisch-malerischer Auffassung zeigt er dem Betrachter in expressiver Farbigkeit tänzelnden Schlierenbewegungen von Wasseroberflächen, auf denen sich die umliegende Natur in verzerrten Formen, linearen und bandartigen Strukturen lediglich als Farbreflex widerspiegelt.
Dann wiederum ist es die explosive Kraft der Quelle eines gischtenden Wildbachs, der sich unablässig und kraftvoll seinen Weg nach unten bahnt. Im Umfeld seiner rasanten, tosenden Erscheinung entlädt sich die umgebende Natur wie ein Farbengewitter der Andeutung.
Ein Sturzbach wird zu einem hellen Farbregen, bei dem die flüssige Farbe in einzelnen Rinnsalen über die gesamte Fläche bis zum unteren Bildrand drängt. Nicht mehr nur der Pinselduktus versucht hier die Wiedergabe von Natur – es ist die Farbe selbst, die als flüssiges Medium rinnt und geschüttet wird.
Zimmers Werk bleibt in seinem deutlich abstrahierten Erscheinungsbild bewusst uneindeutig und malerisch offengehalten. Anders als bei Kaluza ist es nicht das meisterlich akribische Festhalten eines ganz bestimmten Moments, sondern die bewusst ins Bild gesetzte Unschärfe und Unbestimmtheit, die nicht das „Einfrieren“ eines Moments, sondern Bewegung und Dynamik auf dem statischen Bildträger suggerieren. Nicht der einzelne Tropfen eines Wasserfalls - seine präzise Form im Moment des Fallens - ist hier das Thema, sondern der im Vagen bleibende Gesamteindruck, der sich aus der permanenten Veränderung vieler einzelner Augenblicke zu einer Komposition verdichtet.
Herbert Brandl
Herbert Brandl überführt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Motiv des Wassers nahezu gänzlich in die Abstraktion, in der die Thematik nur mehr assoziiert werden kann. Die Verwendung eines eindringlich tiefen Blaus steht sinnbildlich für das flüssige Element. Weiße, sich wie Bänder windende transparente Farbspuren suggerieren mit ihren Richtungswechseln Wellenbewegungen und dynamische Kräfte. Auf diese Weise entsteht ein taumelnder Farbstrudel mit einer im Wortsinn bewegten Oberfläche als letzter Schicht im Bild, der die Malerei selbst zum Bildthema erhebt und sich nahezu losgelöst von einer konkreten Vorlage zeigt.
Markante und gestisch gesetzte Pinselspuren und -hiebe deuten in einem anderen Bild – in kontrastreicher Farbigkeit aus Blau, Schwarz und Weiß – einen sprudelnden, vor Gischt schäumenden Wasserfall an. Der schnell und zielsicher applizierte, zuweilen mit der Quaste getupfte Auftrag lässt die Farben ineinander übergehen und vermittelt den Eindruck einer zügig-skizzenhaften Ausführung, die der permanenten Veränderung des Wasserflusses und seiner Erscheinungsform im Bild Rechnung tragen will.
Brandls Malerei beschreibt den Wasserfall nicht im Sinne einer nationaltümelnd aufgeladenen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, die die Schönheit und Erhabenheit der eigenen Heimat in den Fokus des Interesses rückt. Vielmehr versucht er, das Motiv in eine nur mehr andeutende freie Malerei zu überführen und sich nicht dem Abbild, sondern dem Wesen kraftvoll tosender Wassermassen anzunähern. Auf diese Weise trachtet er danach das Bild formal wie inhaltlichen von oktroyierten Konventionen und Bestimmungen zu befreien und einer neuen Betrachtungsweise zu unterziehen.
Hubert Scheibl
Auch Hubert Scheibls Komposition “Echo Lake“ ist gänzlich losgelöst von einer konkreten Kontextualisierung. Aus einer assoziativ nach oben schwappenden Wasserstruktur vor einem angedeuteten Hintergrund mit Horizontlinie entsteht in der oberen Bildhälfte – wo man eigentlich den Bereich des Himmels vermuten würde – eine mächtige, sich aufbäumende Welle als riesige Wasserwalze. Wie ein Kaventsmann baut sich diese malerische Wellenform auf, die sich gefühlt im nächsten Moment zu überschlagen und zu brechen droht und damit zum bildnerischen Ausdruck einer äußerst kraftvollen, alles mitreißenden Bewegung wird. Scheibls stehend-schwebende Wellen wirken surreal entfremdet, ausschnitthaft isoliert und seltsam entrückt in den Bildkontext gesetzt. Gänzlich losgelöst aus der motivischen Verankerung eines klassischen Seestücks erscheinen sie wie ein abrupter Wassereinbruch auf der Bildfläche, der alles bisher Dargestellte negiert und tilgt und sich als abstrakt- malerischer Ausdruck selbst zum Bildgeschehen ermächtigt.
Jiří Georg Dokoupil
Dokoupils Seifenblasenarbeit vor blauem Hintergrund liest sich im Kontext der Ausstellung wie das Bild aufsteigender Luftblasen im Wasser oder die Darstellung von auf- und abtauchenden quallenartigen Gebilden. In fragiler Eleganz scheinen sie in und auf der Bildfläche wabernd zu schweben.
Faszinierend bei Dokoupil ist die Bildgenerierung. Seine Seifenblasen sind nicht das Ergebnis einer mimetischen Wiedergabe ihrer naturgemäßen Erscheinung, sondern sie bilden sich während des Schaffensprozesses gewissermaßen selbst ab. Der Künstler versetzt dazu Seifenlauge mit Farbpigmenten und lässt die so erzeugten Blasen von oben auf den liegenden Bildträger fallen und zerplatzen, wo sie ihren individuellen Abdruck hinterlassen. Die Bildkomposition ist dabei das Ergebnis eines kalkulierten Zufalls, bei dem der Künstler nur einen bestimmten Einfluss auf das Ergebnis nehmen kann.
In seiner plastischen Arbeit “Open Bubbles Condensation Cube“ präsentiert uns Dokoupil einen Plexiglasbehälter, der am unteren Rand mit Wasser befüllt und zudem mit mundgeblasenen Glasobjekten in Form von Seifenblasen bestückt ist. Die Arbeit ist eine Hommage an seinen Lehrer Hans Haacke, der in den 1960er Jahren im Zuge der Minimal Art den “Condensation Cube“ erschuf. Dabei handelt sich um einen Plexiglaswürfel, der als Kunstwerk den natürlichen Wasserkreislauf veranschaulicht. Abhängig von den Bedingungen im Raum – wie Licht, Luftbewegung und Temperatur – reagiert der Kubus, sodass Wasser an den Wänden kondensiert und dabei Bläschen entstehen, die an zarte, fast schwerelose Seifenblasen erinnern.
Wasser ist der Ursprung und Quell des Lebens und übt auf uns Menschen seit jeher eine sehnsuchtsvolle Faszination aus, die in den Bildern dieser Ausstellung aus unterschiedlichen Perspektiven künstlerisch reflektiert wird. Ohne Wasser, wäre Leben unmöglich oder in anderen Worten, wie sie der englisch-amerikanische Lyriker W. H. Auden einst beschrieb:
„Tausende haben ohne Liebe gelebt, nicht einer ohne Wasser.“
Text: Dr. Veit Ziegelmaier
Fotocredit: Produktion Pitz